Ein Zwiegespräch zum 100. Geburtstag

am 1. Juni 2010

 

Lieber Vater, Groß- und Urgroßvater sowie Schwiegervater

GÜNTHER STEFFEN,

 

Du bist vor 100 Jahren geboren worden – aus heutiger Sicht in einer sehr weit entfernten Zeit. 

Damals muss es sehr spannend in der Politik, der Wirtschaft und im Leben der Bürger zugegangen sein. In der Zeit Deines Geburtstages regierte Kaiser Wilhelm II, als Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg. Deiner Geburtsstadt, der Freien und Hansestadt Hamburg, ging es  großen Teilen der Bevölkerung wirtschaftlich recht gut. Die Zeit der deutschen Industrieentwicklung verlief zufriedenstellend. Allgemein sprach man vom „ersten Wirtschaftswunder“.

Hamburg feierte die Eröffnung des Elbtunnels (heute alter Elbtunnel genannt) am Ende der Sandsteinbauten an den St. Pauli Landungsbrücken. Die Eröffnung vollzog der Kaiser persönlich.

Für Europa allerdings war das Jahr 1910 eine Zeit trügerischen Friedens. Konflikte wurden zwar (noch) nicht mit Waffen ausgetragen, sondern zeichneten sich in diplomatischen Aktivitäten und in lautstarken Reden nationaler Politiker ab.

Die deutsche Regierung, die nicht vom Volk gewählt war, muss sich mit einer wachsenden Opposition auseinander setzen. Technische Triumphe feiert in 1910 in erster Linie die Luftfahrt. Zwei große Luftschauen stellten dieses heraus.

Die Entwicklung der Bildung war geprägt von zwei Hauptmerkmalen. Zum einen zeigen Bildung- und Erziehungsströmungen überall individualisierende Formen, die auf den Demokratisierungsprozess in der Gesellschaft zurückzuführen waren. Zum anderen erfordert die fortschreitende Industrialisierung eine intensive Berufsausbildung. Bildung und Erziehung befanden sich in einer prägenden Übergangs- und Umwandlungsphase.

Deine Eltern hatten offenbar die Zeichen der Zeit richtig erkannt und intensiv dafür gesorgt, dass Du und Deine Geschwister eine belastbare Schulbildung erhielten und alle einen weitreichenden Beruf erlernen konnten.

Deine Schulbildung und die anschließende Berufsausbildung mit überdurchschnittlichen Ergebnissen formten Dich zu einem tüchtigen Drogisten.

Dieser Beruf ist schon viele Jahre nicht mehr sehr gefragt bzw. hat  sich das Berufsbild aufgrund der veränderten Lebensgewohnheiten stark verändert.

Die friedliche Zeit, in die Du hineingeboren wurdest, hielt nicht mehr lange vor. Noch bevor Du zur Schule kamst, hatte schon der erste Weltkrieg Europa verdüstert und für Deutschland bzw. Hamburg und auch für die Familie brachen belastende Jahre an.

Ende der zwanziger und den folgenden Jahren entwickelte sich Dein Interesse für die Politik im Fokus der wachsenden „neuen“ Kraft in Deutschland. Deine Eltern waren nicht begeistert. Mit Freunden hast Du einen Weg gewählt, der Dich zielorientiert und anständig zu einem Offizier der Waffen SS führte.

Dein Privatleben haben Erika und ich sehr intensiv in einer separaten Familienchronik (nur Papierform) aufgeschrieben. Deine Kinder sowie die Enkel haben jeweils ein Exemplar erhalten. Wir haben über diesen Weg versucht sicherzustellen, dass auch diese sehr interessante Seite Deines Lebens nicht in Vergessenheit gerät.

Deinen militärischen Lebensweg haben wir dagegen losgelöst vom Privatbereich sehr intensiv in dieser Chronik abgebildet und gemäß der heutigen Zeit in das „Internet“ gestellt. So hat jeder Interessierte Zeitgenosse  im Inland oder Ausland (auch die Familien der Division „Flandern oder Nederland“) die Möglichkeit Dich kennen zu lernen. Mehrere hundert Interessenten haben bisher davon Gebrauch gemacht.

 

Einen Schönheitsfleck gibt es leider auch. Nicht alle Deine Kinder haben sich an den Aufschreibungen intensiv beteiligt. Mit Begeisterung und Einsatzwillen war nur Deine jüngste Tochter Erika eine sehr fleißige Detailsammlerin. Ihre Beschreibungen über Dich waren sehr speziell und natürlich angereichert mit Aussagen aus Erzählungen der Mutter Helene und den Geschwistern. Erika hat, obwohl sie Dich leider niemals intensiv kennenlernen konnte, noch heute sehr lebhafte Erinnerungen. Gedanklich und manchmal in Schilderungen belastet sie dieser Umstand sehr. Erika hätte sich sehr gefreut wenn ihr Vater über eine volle Lebensphase gegenständlich vorhanden gewesen wäre. Genauso sehe ich es auch. Sehr gerne hätte ich Dich persönlich kennengelernt und viele Gespräche mit Dir führen mögen. Das schöne Alstertal wäre mit Sicherheit oft die Kulisse gewesen.  

Dein 100. Geburtstag war Erika und mir gegenwärtig. Wir haben intensiv an Dich gedacht und mit einem guten Wein auf Dich angestoßen. Heute sagt man: “Wir sind sehr froh, dass es Dich gab“.

 

Deine Kinder

Erika und Franz